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28. Unwort des Jahres gewählt

28. Unwort des Jahres gewählt

erstellt am von  in  Wortwissen 

Die Jury der unabhängigen Aktion Unwort des Jahres hat sich dieses Jahr für das Wort Anti-Abschiebe-Industrie entschieden, wie sie am Freitag, 11. Januar, mitteilten.

Alle bisher gekürten Wörter findet ihr bei uns!

Das Unwort des Jahres wird jeweils zum Anfang des Folgejahres von einer Jury bestehend aus fünf Sprachwissenschaftlern gewählt. Davor können Vorschläge bis zum 31.12. eingereicht werden. 2018 erreichte die Jury insgesamt 902 Einsendungen mit 508 verschiedenen Ausdrücken, nur 70 davon entsprachen den Kriterien zum Unwort des Jahres.

Anti-Abschiebe-Industrie verhöhnt geltendes Gesetz

Der Ausdruck unterstellt denjenigen, die abgelehnte Asylbewerber rechtlich unterstützen und Abschiebungen auf dem Rechtsweg prüfen, die Absicht, auch kriminell gewordene Flüchtlinge schützen und damit in großem Maßstab Geld verdienen zu wollen, heißt es in der Jurybegründung. Der Ausdruck Industrie suggeriert zudem, es würden dadurch überhaupt erst Asylberechtigte „produziert“ werden, so weiter in der Pressemitteilung.

Die Jury stimme einer Einsendung zu, dass es sich hierbei um ein Unwort handle. Denn „mit diesem Begriff (wird) das geltende Gesetz verhöhnt (...), welches Grundlage unserer Wertegemeinschaft ist“. Als das Unwort 2018 gilt es den Entscheidern zum Unwort des Jahres, „weil ein solcher Ausdruck von einem wichtigen Politiker einer Regierungspartei prominent im Diskurs platziert, zeigt, wie sich der politische Diskurs sprachlich und in der Sache nach rechts verschoben hat und sich damit auch die Sagbarkeitsregeln in unserer Demokratie in bedenklicher Weise verändern.“

Der Begriff Anti-Abschiebe-Industrie wurde im Mai 2018 von Alexander Dobrindt, den Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, in die Diskussion um Abschiebungen von Geflüchteten eingebracht. Eine „aggressive Anti-Abschiebe-Industrie“, so Dobrindt, sabotiere die Bemühungen des Rechtsstaates und gefährde die öffentliche Sicherheit.

unwort des jahres

Weitere Wörter kritisiert

In ihrer Pressemitteilung kritisieren die Sprachwissenschaftler zwei weitere Wörter als Unwörter.

Menschenrechtsfundamentalismus

Zum einen das Wort Menschenrechtsfundamentalismus. Die Jury meint dazu: „Der Ausdruck zeigt in erschreckender Weise, dass es in Deutschland diskutabel geworden zu sein scheint, ob ertrinkende Menschen gerettet werden sollen oder nicht.“ Menschenrechte seien aber fundamentale Rechte – sie zu verteidigen, ist mehr als eine bloße Gesinnung, die als „Fundamentalismus“ diskreditiert werden könnte.

Die Jury kritisiere den Ausdruck, weil er in besonderem Maße zeige, dass wir – wie der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse schon 2016 auf dem Katholikentag in Leipzig mahnte – „Humanität neu zu lernen“ haben und „elementare Regeln des politisch-menschlichen Anstands, des Respekts vor der persönlichen Ehre und der Menschenwürde […] für nicht wenige im Lande nicht mehr zu gelten [scheinen]“.

Dieser Ausdruck wurde von Boris Palmer, Oberbürgermeister von Tübingen und Grünen-Politiker, anlässlich einer Debatte um die Seenotrettung von Flüchtlingen aus dem Mittelmeer verwendet. Er wollte damit die politische Haltung von ihm sogenannter „moralisierender Kreuzzügler“ in der Flüchtlingspolitik kritisieren.

Ankerzentrum als Unwort kritisiert

Der Ausdruck Ankerzentrum findet sich im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD. Er bezeichnet besondere Aufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge, die dort eine „Bleibeverpflichtung“ haben, bis sie auf die Kommunen verteilt, abgeschoben werden oder freiwillig in ihre Heimat zurückkehren. Im Koalitionsvertrag wird durch die Schreibweise noch verdeutlicht, dass der erste Bestandteil des Ausdrucks eine Abkürzung ist: AnKER steht dort für „Ankunft, Entscheidung, kommunale Verteilung oder. Rückführung“.

Durch die inzwischen fast durchgängige Klein- und Zusammenschreibung als Ankerzentrum wird aus Sicht der Jury der Ausdruck zu einem unangemessenen Euphemismus. Er verschleiere die komplizierten Prüfverfahren in diesen Zentren und die strikte Aufenthaltspflicht für Flüchtlinge, indem die positiven Assoziationen des Ausdrucks Anker - u.a. Festmachen in einem Hafen, Sicherheit, zudem christliches Symbol der Hoffnung - gezielt ausgenutzt werden.

Das Unwort des Jahres – Die Statistik 2018

Die zehn häufigsten Einsendungen aus den Zuschriften an die Jury waren Asyltourismus (122 mal), Vogelschiss/Fliegenschiss (22 mal), DSGVO (Datenschutz-Grundverordnung mit 22 Einsendungen), Hetzjagd (mit 17 Einsendungen), (bedauerlicher) Einzelfall (14 mal), Ankerzentrum (13 Einsendungen), Biodeutsche (11 Meldungen), Anti-Abschiebe-Industrie (mit 10 Einsendungen), Deal (ebenfalls 10 mal) und mutmaßlich (9x). Sie entsprachen nicht zwigend den Kriterien der Jury zum Unwort des Jahres.

Die Aktion Unwort des Jahres möchte prinzipiell auf öffentliche Formen des Sprachgebrauchs Aufmerksam machen. Ziel ist die Förderung des Sprachbewusstseins und der Sprachsensibilität. Wesentlich sei, dass die betreffenden Wörter und Formulierungen öffentlich geäußert wurden, eine gewisse Aktualität besitzen und der Äußerungskontext bekannt oder belegt ist. Die Anzahl der Einreichungen eines Vorschlags spielt im Unterschied zu den genannten inhaltlichen Kriterien keine Rolle. Die Wörter verstoßen zudem gegen sachliche Angemessenheit und Humanität.

Bildquelle: Dominik Wachsmann via getstencil für wort-suchen.de, 1337 UGC GmbH