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Scrabbinale 2012

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Wo sich die Wort-Akrobaten messen

Wovon träumen Turnierscrabbler? Von einer Hautkrankheit – dem „Myxödem“. Nicht davon, diese Krankheit zu haben, sondern davon, das Wort einmal im Leben zu legen. Myxödem enthält mit dem X, Y und Ö drei wertvolle Buchstaben – das gibt viele Punkte.

Turnierscrabbler sind Sportler im Geiste, immer auf der Suche nach neuen Wörtern und sie haben davon einige mehr auf dem Kasten als der Durchschnittsdeutsche:

„Der normal sprachinteressierte deutsche Student kennt 20.000 Wörter. Wir können davon ausgehen, dass ein Scrabbler 40-50.000 Wörter kennt und auch aktiv nutzt.“

Das erzählt mir Friedrich Engelke – pensionierter Physikdozent und begeisterter Turnierscrabbler. Wir sitzen im Dietrich Bonhoeffer-Haus in Berlin während der 4. Scrabbinale (20.04.-22.04.2012) – eines von durchschnittlich zehn Scrabble-Turnieren, die jährlich im deutschen Sprachraum stattfinden.

Die 48 Spieler bei der 4. Berliner Scrabbinale

Die Scrabbinale beginnt mit dem rauschenden Klappern der Buchstabenplättchen. 48 Spieler fischen je 7 Buchstaben aus ihren Scrabble-Beuteln. Dann ist es eine Stunde lang fast still. „Jetzt wird’s langweilig.“ raunt mir Michael Aumüller zu. Er ist in diesem Turnier dafür zuständig, die Punktestände zu notieren. Während die Scrabbler spielen, bleibt uns nichts anderes übrig als zu warten, zu beobachten und leise zu flüstern:

Er habe auch einmal Turnierscrabble gespielt, erzählt Michael, doch er sei ein schlechter Verlierer und ein noch schlechterer Gewinner gewesen. Dann zeigt er mir die Spielerlisten und erklärt, wie der Gewinner ermittelt wird: Es gibt 13 Spielrunden. Gezählt wird, wie viele Spiele ein Scrabbler gewinnt. Liegen zwei Spieler gleichauf, entscheiden die Differenzpunkte: In jedem Spiel wird deshalb zusätzlich ermittelt, mit welchem Punktabstand ein Spieler gewonnen oder verloren hat. Diese Punkte werden im Lauf des Turniers addiert.

Es geht also nicht nur um Buchstaben, sondern auch um Zahlen. Selbst während des Spiels haben die Scrabbler immer die Ziffern des Timers im Auge: Jeder Spieler hat pro Runde nur 30 Minuten Zeit.

Scrabbler mit dem "Scrabble-Face"

Wörter legen unter Zeitdruck – das ist kein gemütliches Scrabble im Freundeskreis – das ist wirklich anstrengend. So laufen bei ein paar Spielern die Köpfe rot an, die Augen schielen abwechselnd aufs Brett und das Buchstaben-Rack. Die eine Hand stützt den Kopf, die andere tauscht immer wieder die Reihenfolge der Buchstaben-Plättchen. Nennt man diese grübelnden Gesichter Poker-Face oder heißt es in Fachkreisen „Scrabble-Face“? Möglich wäre es, denn im Turnierscrabbler-Kosmos gibt es so einige spezielle Begriffe. Zum Beispiel das „Rack-Management“. Friedrich Engelke, erklärt was das ist:

„Ein guter Scrabbler legt niemals einfach das erstbeste Wort, das er findet, aufs Brett. Er hat mehr sein Rack im Sinn, als das Spielfeld. Ihm ist wichtig, welche Buchstaben übrig bleiben und was er damit machen kann.“
Friedrich Engelke beim Spiel

Außerdem gibt es im Leben der Profi-Scrabbler eine Menge Listen. 2- oder 3-Wortlisten, Listen von Wörtern, die 5 Buchstaben und ein V enthalten, Listen von Wörtern mit Begriffen aus der Seemannssprache und noch viele mehr. Sie alle haben nur einen Zweck: den Wortschatz der Spieler zu erweitern, besser zu werden und dadurch auf einen der vorderen Plätze der Elo-Liste zu kommen: Der Besten-Rangliste aller deutschen Turnierscrabbler.

Zu Beginn der 4. Scrabbinale stand Ben Berger dort auf Platz 3. Der Jura-Student aus Konstanz geht damit als Favorit ins Rennen. Doch schon nach dem ersten Spiel wackelt sein Thron. Ben hat gegen Maike Ruprecht verloren und die kann ihr Glück kaum fassen: „Ich habe erst ein Spiel gegen ihn gewonnen! Dabei spielt er eine Liga über mir!“

Ben Berger und Maike Ruprecht

Eine Stunde lang mussten die beiden mucksmäuschenstill Buchstaben legen, jetzt sprudeln die Wörter aus ihnen heraus. Das Spiel will ausgewertet werden:

„Es war so genial!“, schwärmt Maike, „Ben hat QIS gelegt und ich hab da IMITATEN angelegt, auf den dreifachen Wortwert.“ Bei Ben ist keine Spur von Neid zu erkennen: „Es war wunderschön, wir hatten beide über 400 Punkte. Das ist ein Zeichen, das es kein vertracktes Spiel war, sondern eines, wo beide merken: es läuft.“

Während Ben und Maike erzählen, beenden auch die restlichen Scrabbler nach und nach ihr Spiel. Der Flur füllt sich. Sie tauschen ihre besten Wörter und die Punktzahlen aus. Für einen Außenstehenden geben sie ein merkwürdiges Bild ab: Sie sind 20 bis 80 Jahre alt, sie tragen den Duden wie ein Schatzkästchen bei sich und unterhalten sich über seltene Affenarten, die man unbedingt mal anlegen müsste. Das sind dann ihre Traumwörter. Fast jeder hier hat eins, nur Friedrich Engelke nicht:

„Viele Scrabblespieler überlegen sich, wo sie ihr Lieblingswort anlegen möchten und wissen genau, wie viele Punkte sie dafür bekommen. Aber die Wahrscheinlichkeit das Wort zu legen, ist wie 6 Richtige im Lotto.“

Wieder fängt Friedrich an zu rechnen. Wie groß wäre die Wahrscheinlichkeit, dass ein Scrabblespiel dem anderen gleicht? Es sei schier unmöglich, meint er. Genau dies sei die Faszination des Spiels, die ihn seit 2007 antreibt. Ein weiterer Motor war ihm die Zeitung ZEIT, in der jede Woche ein kniffliges Scrabble-Rätsel zu finden ist.

Hinter diesen Rätseln steckt Sebastian Herzog – Vorsitzender des Scrabble Deutschland e.V. Natürlich ist auch er bei der Scrabbinale dabei und wird von den meisten halb ehrfürchtig, halb mit einem Augenzwinkern mit „Herr Präsident“ angesprochen. Es sei schon ein bisschen zu viel Ehrfurcht, meint Sebastian, denn einige halten ihn aufgrund seiner Position fälschlicherweise für einen sehr guten Spieler. Sie trauen sich nicht einmal, seine gelegten Wörter anzuzweifeln. „Eventuell hab ich das ein oder zweimal ausgenutzt“ gibt er grinsend zu.

"Der Präsident" Sebastian Herzog

Im Jahr 2000 hat Sebastian das erste ZEIT-Scrabbleturnier am Wörthersee organisiert – seitdem wächst die Schar der Turnierspieler. Viele der älteren Teilnehmer können noch von diesem ersten Turnier berichten. Die Jüngeren hatten einen anderen Zugang: das Internet. Timon Boerner ist mit 19 Jahren der jüngste Spieler – er hat mit dem Online-Scrabbeln angefangen, darüber Ben Berger kennengelernt und sich überreden lassen, zum Turnier zu gehen: „Die Scrabbinale ist erst mein zweites Turnier. Es ist sehr interessant, viel bunter als ich es gewohnt bin. Hier treffe ich Menschen, die ich sonst nicht in meinem Umfeld habe.“

Doch es wäre falsch zu behaupten: Die Jungen spielen Online-Scrabble, die Älteren am Küchentisch. Fast alle Spieler, egal welchen Alters, haben das Netz für sich entdeckt. Wie sonst könnten sie üben, fragt sich Friedrich Engelke, wenn der nächste Turnierspieler kilometerweit entfernt lebt? Während er als Dozent an der Uni gearbeitet hatte, hat er immer wieder versucht, Spieler zum Üben zu finden. In einem Semester fand er eine Scrabblerin, danach nie wieder. Deshalb hat er zusammen mit einem Freund die Online-Scrabble-Liga ins Leben gerufen, in der sich wöchentlich 70 Scrabbler messen:

„Man kann bei den Online-Spielen zusehen und immer wieder etwas Neues lernen. Dort werden richtig gute Partien gespielt, mit sehr ausgefallenen Wörtern - natürlich, weil man sie nachsehen kann.“

Diese ausgefallenen Wörter sind zwar interessant, aber nicht immer die Wörter, mit denen man ein Spiel gewinnt. Nach 3 Tagen Dauerscrabble steht die Siegerin fest: Nadja Dobesch. Ihr bestes Wort während der Scrabbinale war einfach und kurz: DENK. Im vorletzten Spiel hat es ihr den Sieg gebracht – obwohl es schon so aussah, als würde sie verlieren.

Während der Scrabbinale hatten sich zwei Spieler konstant nach vorne gearbeitet – unter anderem der Favorit Ben Berger. Nadja spielte lange leicht abgeschlagen auf dem dritten Platz, doch die dritte Runde brachte die Entscheidung: Beide Favoriten verloren ihre Partie und Nadja gewann – und wurde damit zum ersten Mal Siegerin eines Scrabble-Turniers.

Nadja Dobesch mit der Siegertrophäe - ein selbst genähter Scrabble-Beutel.

Ich frage sie, ob ich als „Otto-Normalscrabblerin“ ein Spiel gegen sie gewinnen könnte. Sofort scharen sich ein paar Zuschauer um uns herum und spekulieren: „Die hat keine Chance!“ sagen sie oder „Naja, die Wahrscheinlichkeit liegt vielleicht bei 2 Prozent.“

Ich versuche es trotzdem und will mir alle Tipps, die ich in diesen drei Tagen bekommen habe, zu Herzen nehmen:

Niemals das erstbeste Wort legen! … Das Spielfeld öffnen, wenn es schlecht für dich läuft und schließen, wenn du vorne liegst. … Versuche alle Buchstaben auf einmal rauszulegen, das ist dann ein „Scrabble“ und du bekommst zu 50 Extra-Punkte! … Wenn du nicht alle zugleich rauslegst, dann behalte immer mindestens einen Vokal und einen Konsonanten auf dem Bänkchen …

Doch leider fängt mein Kopf während des Spiels so sehr an zu rauchen, dass ich die ganzen schönen Tipps vergesse. Nadja weist mich grinsend auf meine Fehler hin. Ich lege „Rauch“ und benutze dazu einen Blankostein. „Ein Turnierscrabbler würde den Blanko nur benutzen, um einen Scrabble zu legen.“ erklärt mir Nadja und legt dann so ungewöhnliche Wörter wir „Häfens“ und „Xi“.

Mein Spiel gegen die Scrabbinale-Siegerin

Der Ausgang des Spiels ist nicht verwunderlich. 218 Punkte für mich, 381 für Nadja. „Gar nicht schlecht,“ meint Nadja zu mir, „aus dir könnte noch was werden.“ Möglichkeiten einzusteigen hätte ich ja viele – beim Online-Scrabble oder beim MOPS – dem „Mega-Osnabrücker-Power-Scrabble“ – ein Turnier extra für Einsteiger!

Bilder von der Scrabbinale 2012

Jetzt ist auch die Galerie online: Bilder zur 4. Scrabbinale 2012.

Bildquellen

  • in die buchstaben geschaut: Bildrechte bei der 1337 UGC GmbH
  • Spieler bei der Scrabbinale: Bildrechte bei der 1337 UGC GmbH
  • Friedrich Engelke: Bildrechte bei der 1337 UGC GmbH
  • Ben Berger und Maike Ruprecht: Bildrechte bei der 1337 UGC GmbH
  • Sebastian Herzog: Bildrechte bei der 1337 UGC GmbH
  • Mein Spiel gegen Nadja Dobesch: Bildrechte bei der 1337 UGC GmbH